Blick auf Schönberg
Kleines Interview mit Jörn Peter Hiekel
Jörn Peter Hiekel: Hältst Du Arnold Schönberg für einen auch heute noch – und für Dich persönlich – maßgeblichen oder zumindest inspirierenden Komponisten? Und wenn ja: warum?
Markus Hechtle: Abgesehen davon, dass die Fähigkeit, inspirieren zu können, in keiner Beziehung zur Qualität eines Werks stehen muss, und mir der Begriff des "Maßgeblichen" in der Kunst unangebracht zu sein scheint (immerhin erzählt er etwas über die, die ihn verleihen, wenig jedoch über die, die damit belastet werden): Ja, Schönberg kann inspirierend sein und er ist es für mich, immer wieder! Warum? Seine Orchesterfarben, nicht selten verblüffend – seine Harmonik, immer ausgehört – seine Phrasierung, stets atmend – seine Zeitgestaltung, durchgängig geführt – vor allem aber: seine Phantasie, niemals abwesend.
JPH: Welche Werke sind aus Deiner Sicht besonders wichtig – und eben inspirierend? Und warum?
MH: Bisher sprechen mich die frühen und die Werke der freitonalen Phase am stärksten an. Das heißt aber nicht, dass die späteren nicht wichtig und der Entdeckung wert wären, ich kenne nämlich längst nicht alle. Bisher habe ich das Gefühl, dass die früheren Werke etwas in mir berühren, das die späteren nur noch indirekt zu treffen vermögen. Das Nostalgische, das seltsam Sehnsuchtsvolle seiner Zwölftonmusik irritiert mich manchmal und zieht mich dann auch wieder an.
JPH: Welche Aspekte (und mit Blick auf welche Werke Schönbergs) kommen in Deinem Hochschulunterricht besonders zum Zuge?
MH: Erst kürzlich beschäftigten wir uns im Seminar mit "Die glückliche Hand". Das war äußerst an- und aufregend, nicht zuletzt mit Blick auf Stoff und Regieanweisungen. Und die Behauptung "So schafft man Schmuck!" fasziniert mich schon immer, thematisiert sie doch in rätselhafter Klarheit eine der zentralsten Fragen künstlerischer Arbeit – nein, Existenz!
JPH: Gibt es aus Deiner Sicht Aspekte des Redens über Schönberg (bzw. Deiner Beurteilung von Schönberg), die sich signifikant von früheren Auffassungen (etwa jener von Adorno etc.) unterscheiden und sich womöglich erst in letzter Zeit herauskristallisiert haben?
MH: Andere Komponist*innen – ob tot, alt oder jung – haben für Komponist*innen oft andere Bedeutungen als für Forschung und Kritik. Gottseidank! Als Jugendlicher fand ich die gängige Vorstellung, Schönberg hätte etwas abgeschafft und stattdessen etwas anderes eingeführt, um den Weg in die Zukunft zu weisen, noch imponierend und verführerisch. Heute empfinde ich sie als geradezu irrwitzig und kunstfremd. Das liegt vermutlich auch daran, dass mit Arbeit und Alter manch präpotente Phantasie zugunsten einer bescheideneren Haltung schrumpft. Den empörten Verteidigern, die lautstark intervenieren, es hätten aber doch viele, ja, die Größten, abgeschafft und eingeführt, möchte ich entgegnen, dass es sich bei solchen Zuschreibungen meist um Profilierungsversuche handelt, die vornehmlich ihren Autoren dazu dienen sollen, sich selbst ins Licht zu rücken – unerheblich, ob der eine, wie etwa Adorno, Schönberg auf Kosten Strawinskys zum Erlöser stilisiert, oder der andere, wie etwa Boulez, seine Ambitionen auf Kosten Schönbergs formuliert, indem er ihn anklagt, nicht restlos alles abgeschafft zu haben. Aber natürlich gibt es Schlimmeres! Ich bevorzuge, Schönbergs Entwicklung als Ermutigung zur eigenen künstlerischen Individuation zu verstehen.
JPH: Gibt es in Deinem speziellen Hochschul-Umfeld (bei den nächsten Generationen) eine spezifische Schönberg-Sicht?
MH: Nicht, dass ich wüsste. Manchmal berichten junge Komponist*innen von ihren Begegnungen und Erfahrungen mit seiner Musik, die meist sehr unterschiedlich sind. Das freut mich dann.